RÜGENSOMMER
oder
DIE ES MIT DEM HUND MACHT

Ferieninsel Rügen. Ostseebad Göhren. Friedrichstrasse. Sommer. Sonne.
Wind. Meer. Möwen. Und herrlich braune Weiber.
Das ist es, echt, das is'sis! Geil, geil, geil, und das Bissel Arbeit drüben in Mukran auf dem Fährhafen erledigt sich so nebenbei. Ich mache dort eh meist nur Nachtschicht, und wenn die Bauleiter so nach sechs Uhr verschwunden sind, kloppen wir Skat oder pokern und saufen dabei literweise Rostocker Hafenbräu. Hin und wieder jagen wir dann mitten in der Nacht einen jungen Bengel nach draußen, damit es "blitzt".
Wir haben das ja alles ausgetestet. Wenn man oben auf der Brücke schweißt, ist der Lichtbogen bis weit ins Land hinein zu sehen und morgens, wenn die Obrigkeit wieder eintrudelt, "blitzen" wir alle wie verrückt. Hat immer geklappt. Bis auf einmal.
Peter, das ist ein ganz stinkiger Bursche, mit vier Sternen auf den Schulterklappen. Der trägt immer die stahlblaue Uniform.
Moment noch, das erkläre ich gleich.
Da brachte es doch der Peter mal fertig und kam mitten in der finsteren Rüganer Nacht angeschlichen. Wir hatten an diesem Abend wahrscheinlich zu viel gesoffen und pennten. Alle. Ohne Ausnahme. Da hat uns der Peter hochgeh'n lassen!
Es ging uns an die Kohle, nicht zu knapp, und einige, auch ich, wurden degradiert.
Ich arbeite nämlich beim Stahlbau Dessau und die sind irgendwie der Deutschen Reichsbahn angegliedert, und so haben wir alle einen Dienstgrad. Bis zum Sekretär hatte ich mich schon "hochgearbeitet", dafür muss man aber nichts tun. Diesen Dienstgrad bekommt man automatisch nach einem halben Jahr Zugehörigkeit. Nun bin ich also wieder Untersekretär.
Vor ein paar Wochen habe ich die Margot kennengelernt. Und wie's so im Leben spielt, bin ich bei ihr eingezogen. Margot arbeitet als Lehrerin der Oberstufe, aber sie gibt damit nicht an. Wenn sie in der Schule ist und ich frei habe, packe ich mein Bündel und gehe meist runter zum Südperd. Man muss wissen, dass es in Göhren den Nord- und den Südperd gibt.
Der Südstrand liegt nur etwa 5 Minuten von Margots Wohnung entfernt, hat nicht ganz so feinen Urlaubersand wie der am Nordperd, aber den Vorteil, dass man hier ohne alles baden gehen kann.
Oft habe ich auch 'ne Literflasche Wein dabei, schreib' ein paar Gedichte und lese Heine-Verse. So auch just, in dem Augenblick, als das Mädchen aus dem Frisiersalon kommt. Die ist mir schon paar Mal aufgefallen. Sie ist rundherum knackig braun und kommt immer mit einem großen Schäferhund. Ihren Hals ziert heute ein rotgepunktetes, dünnes Tuch.
Da den Strand hier noch riesige Findlinge belagern, nimmt sich halt so jeder seinen Stein. Ich auch. Meine Initialen, R.J.H. habe ich längst mit einem Kreidekiesel eingeritzt.
Das Mädchen "besitzt" natürlich auch so einen Brocken, und der liegt gar nicht allzu weit weg von meinem.
Schnell wie immer, hat sie sich der lockeren Kleidung entledigt, stürzt sich in die schäumenden Wellen, und ihr Köter läuft mit heraushängender Zunge vorn am Wasser entlang und verscheucht Möwen.

Ich versinke in Heines BUCH DER LIEDER.
"Dein Herz, es ist ein Diamant,
Der edle Lichter sprühet.
Oh, dreimal glücklich ist der Mann,
Für den es liebend glühet."

Das Mädchen bleibt eine Ewigkeit im Wasser. Sie ist eine gute Schwimmerin. Ich lege das Buch auf meine Sandalen, trinke einen kräftigen Schluck Cinzano und aale mich bequem in der Sonne.
Mir geht es echt gut in diesen Tagen. Manchmal träume ich sogar, auch tagsüber. Nein, nicht von Margot, von mehr Kohle zum Beispiel und schönen Weibern und so ganz ohne Arbeit leben zu dürfen.
Was könnte man nicht alles in 24 Stunden anstellen! Rumficken, Saufen, Lesen oder auch nur mal so ganz allein am Strand spazieren und nach Bernstein suchen...
Morgens, nach einem kräftigem Sturm, hatte ich schon oft kleinere Brocken gefunden und sie dann Margot geschenkt. Manchmal hat sie mich aber auch ausgelacht!
"Du Dussel! Das ist doch nur abgeschliffenes Glas!"
Vergiß es! Lehrer wissen eh alles besser!

Plötzlich leckt mich die rauhe Sandpapierzunge des Schäferhundes! Ich verharre wie erstarrt, denn mit diesem Riesenvieh möchte ich mich nicht anlegen. Hilfesuchend blicke ich um mich, sehe aber das Mädchen nicht. Ich wage kaum zu atmen, so viel Angst jagt mir dieser ausgewachsene Köter ein. Schließlich trabt er fort.
Ich lasse mir feinen Sand auf die Oberschenkel rieseln. Wie in einer Eieruhr entsteht eine kleine Pyramide. So kann man sich auch die Zeit vertreiben. Es ist ein echt gutes Gefühl in der Sonne zu liegen und einfach nichts zu tun....

Der Schäferhund hat nun sein Frauchen entdeckt. Sie liegt etwas seitlich hinter ihrem großen Stein, zieht den Hund mit den Armen an sich und lässt sich von dem Köter ablecken. Überall.
Ausgestreckt liegt sie da und hat die braunen Schenkel halb geöffnet, das Vieh turnt auf ihr herum.
Unfassbar! Widerlich! Die bietet mir mehr, als nur 'ne billige Zirkusnummer und schämt sich nicht mal, dass sie von mir gesehen wird. Es scheint ihr sogar sehr viel Spass zu bereiten, denn ich vernehme aufmunternde Zurufe. Der Köter macht sich mächtig zu schaffen.
Bei Gott, einiges hab' ich ja auch schon erlebt, aber so etwas Geiles noch nicht.
"Oh Scheiße!", denk'ich, "was zieht die hier bloß für 'ne Show ab!"
Mir ist unheimlich heiß.
Sekunden, Minuten verstreichen. Dort ein Hund und ein junges Mädchen.
Hier ich allein. Ganz plötzlich beginne ich zu frieren. Ich bekomme Gänsehaut.
Es schüttelt mich regelrecht. Schnell trinke ich noch einen Schluck Cinzano und werde erst nach zwei Zigaretten wieder etwas ruhiger.
Dann haut sie ab. Sie klettert die steile Düne hoch. Ein mächtiger Schwarm Möwen und Seeschwalben schreckten auf. Ich sehe ihr nach.
Fast oben angekommen, bleibt sie stehen, dreht sich um und winkt mit dem rotgepunkteten Tuch.
Außer mir ist kein weiteres Wesen am Strand. Will die mich etwa für doof verkaufen?

Wenig später kommt dann Margot. Sie ist sehr sonnenempfindlich. Margot breitet eine Bastmatte aus, chremt sich gründlich ein und stülpt sich die NEUESTEN RÜGENER NACHRICHTEN übers Gesicht.
Mein Wein ist alle, die Braune fort. Ich schwimme weit ins Meer hinaus und tauche nach Muscheln. In keiner aber finde ich eine so wunderschöne Perle...

by R.J.H. Dezember 2000

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