Das Labyrinth

Seit Tagen befinde ich mich nun schon hier unten. Einem seltsamen Umstand verdanke ich die Tatsache, daß ich in diesem Dilemma stecke. Das Labyrinth besteht aus zahlreichen, verschachtelten Gängen. Es ist sehr feucht hier und dunkel. Hier und da sind Glühbirnen in die Wand eingelassen, die ein mattes Licht verstrahlen, ansonsten würde man die Hand vor Augen nicht sehen. Vorsichtig taste ich mich an den Wänden entlang. Manchmal endet ein Gang in einer Sackgasse, so daß ich ein Stück des Weges wieder zurückgehen muß. Meistens benutze ich diese Sackgassen zur Verrichtung meiner Notdurft. Die Gänge sind ungefähr zwei Meter hoch und einen Meter breit. Man hat wenig Bewegungsfreiheit. Da ich, wie schon gesagt, bereits seit Tagen durch dieses Labyrinth irre, ist meine Wahrnehmungsfähigkeit schon erheblich gestört. Man muß sich vor Augen führen, daß ich von jedem Geräusch der Außenwelt völlig isoliert bin. Lediglich mein eigener Herzschlag oder mein Atem sind hörbar. Ansonsten herrscht katatonische Stille. Mitunter bin ich gezwungen einen Schrei auszustoßen um eine Unterbrechung in die Stille zu reißen. Die Wände sind vermutlich aus Gips oder ähnlichem porösem Material. Gelegentlich findet man Beschädigungen im Material, die vermutlich von Ratten herrühren. Leider habe ich noch keine Ratte zu fassen bekommen, denn mein Hunger nimmt allmählich überhand. Man kann sich vorstellen, daß in einer solchen Umgebung keine Nahrungsmittel zur Verfügung stehen. Durch die extreme Feuchtigkeit, die hier herrscht, kommt man zumindest an Wasser. Teilweise rinnt es in kleinen Bächen direkt von den Wänden herunter. Aber der Hunger ist ein enormes Problem, zumal ich keinen Schimmer habe wie und wann ich hier wieder herauskomme. Zuweilen erwische ich manchmal eine Spinne, die ich genieße wie ein Filet. Augenblicklich wird der Zustand hier unerträglich. Das Fatale an dieser Situation ist die Tatsache, daß ich neuerdings offensichtlich verfolgt werde. Immer öfter meine ich, von Weitem fremde Geräusche zu hören, die in dieser Isolation natürlich überlaut hörbar sind. Ich meine auch an verschiedenen Stellen Schatten wahrgenommen zu haben. Es besteht kein Zweifel, daß ich verfolgt werde. Stellenweise verfalle ich in leichten Trab, denn in dieser Enge ist es nicht möglich zu rennen. Abhängen kann ich den Verfolger allerdings nicht. Sein Instinkt scheint sehr stark ausgeprägt zu sein. Tagelang versuche ich ihm zu entkommen. Ich laufe durch nicht endend wollende Gänge, kreuze Weggabelungen, biege in einmündende Gänge ein. Das stetige Tempo hält mich davon ab mich um Nahrung in Form von Spinnen zu kümmern. Ich will keine Zeit verlieren. Der Hunger ist jetzt beinahe unerträglich. Immer häufiger leide ich unter Halluzinationen. Jetzt ist mir alles egal. Ich stoppe und lausche meinem Atem. Ich habe nur eine Möglichkeit an Nahrung zu kommen - ich muß den Verfolger töten! Ich kehre um und gehe in die entgegengesetzte Richtung. Nach kurzer Etappe verfalle ich wieder in leichten Trab. Manchmal ziehe ich mich in eine Nische zurück und lege mich auf die Lauer. Ich glaube gelegentlich einen Schatten an einer Wegbiegung zu sehen. Dann beschleunige ich meinen Trab oder biege in einen anderen Gang ein, um in den Weg abzuschneiden. Ich weiß, daß ich ihn kriegen werde. Ich muß ihn kriegen oder ich geh' drauf. Wenn ich ihn erwische, werde ich zuallererst seine Leber verspeisen. Ich habe furchtbaren Heißhunger auf Leber. Schade, daß ich hier nicht an Semmelknödel komme......

von Michael Kassfeld

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